Die Kitafrei Problemlage

Wenn das Kitathema zur Belastung wird

Viele Mütter und Väter haben bereits bei der Kitaplatzsuche und der Auseinandersetzung mit dem Thema mulmige Gefühle. Manche Eltern wissen schon früh, dass sie zwei oder gar drei Jahre mit dem Kitastart warten möchten, andere suchen nach der besten Kita und stellen ernüchtert fest, dass die Aussicht auf einen Wunschkitaplatz schwindend gering ist. Das Kitathema kann zur großen Belastung werden.

Traurige Eingewöhnungen

Spätestens bei der Eingewöhnung bemerken die meisten Eltern die Not ihrer Kinder und fühlen selbst, dass sie die Abgabe ihres Kleinkindes zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht wollen. Doch sehen sie sich unter dem gesellschaftlichen Druck, ihren finanziellen Rahmenbedingungen und den Beschwichtigungen der Erzieherinnen gezwungen, ihre Kinder abzugeben, mit den Auswirkungen zu leben und den eigenen Schmerz zu verdrängen. 

Intuition und Wissenschaft sind sich einig

Die meisten Eltern wissen nicht, dass sie mit ihren eigenen Gefühlen und ihrer Intuition für das Wohl ihrer Kinder richtig liegen. Viele Eltern wissen nicht, was die Wissenschaft aus verschiedensten Disziplinen, wie Hirnforschung, Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie bereits zutage gefördert hat. Die Studienergebnisse zur Stressbelastung der Kinder in frühkindlicher Betreuung und zu den daraus resultierenden, irreversiblen Folgen sind alarmierend!¹

Die sichere Bindung zu den primären Bezugspersonen legt in den ersten Lebensjahren die Grundlage für die emotionale, physische und psychische Gesundheit für das gesamte weitere Leben in einem nicht zu unterschätzenden Ausmaß!² 

Ein anderer Weg, den viele nicht nachvollziehen möchten

So undenkbar der kitafreie Weg ohne frühe Fremdbetreuung für manche Familien auf den ersten Blick auch sein mag, so gibt es doch viele Möglichkeiten einen machbaren und individuellen Weg ohne Fremdbetreuung oder mit alternativen Betreuungsmöglichkeiten zu entwickeln und diesen Weg mit großer Freude am Sein des eigenen Kindes zu gehen. Tausende von Familien leben die Möglichkeit kitafrei in den ersten Lebensjahren zu leben vor und trotzen damit fehlendem Ansehen in der Gesellschaft, der politischen Agenda und manchmal sogar familiärer Ächtung.

Denn gesamtgesellschaftlich geht die Tendenz noch dahin, die Kinder früh und lange abzugeben, um die Erwerbstätigkeit beider Eltern sicherzustellen. Fehlendes Wissen um die Bedeutung frühkindlicher Bindung und bedürfnisorientierter Begleitung sowie der Blick auf die politische Linie und eigene Erfahrungen führen zudem zu Unverständnis und Abwertungen von Eltern, die einen anderen Weg gehen. Die zudem fehlende finanzielle Unterstützung von Eltern, die ihre Kinder selbst begleiten, in Kombination mit dem häufigen Wegfall eines Gehaltes lassen das Unterfangen gar irrational oder als Helikopter-Allüren von Reichen erscheinen. Aber die Entscheidung für ein Leben ohne Kita wird bei Weitem nicht nur von finanziell gut situierten Eltern getroffen. Mehr zu diesem Thema erfährst Du in der 2. Folge des Liebe Trägt Podcast „Finanzierung des kitafreien Weges“.

So sehen viele Menschen einfach nicht, was die Familien oft auf sich nehmen, um ihren Kindern starke Wurzeln für ihr weiteres Leben zu ermöglichen. Einmal ganz abgesehen von dem Wert die Kinder und die Familie in das Zentrum des eigenen Lebens zu stellen. Noch fehlt es in der Masse an Wissen und eigene leidvolle, meist abgespaltene Erfahrungen sowie epigenetische Muster aus Leid, Schmerz und Panzerung werden weitergegeben, um sie selbst nicht fühlen zu müssen. 

Weitergabe von Prägungen, Wunden und Mustern

So haben wir ohnehin alle unsere Prägungs-Pakete zu tragen und Gesellschaftsstudien konnten hierzu bereits zeigen, dass eben jene, die selbst eine frühe Krippenbetreuung erfahren haben, auch tendenziell ihre Kinder wieder in Krippen geben werden.³

Nicht zu unterschätzen ist hierbei auch die Problematik, dass eigene Prägungen die Präsenz für unsere Kinder und das Aushalten und Begleiten starker Emotionen sowie das Einlassen auf den Moment mit unseren Kindern über lange Zeiträume hinweg sehr erschweren können. Überforderung, Ablehnung, Stress, die Spiegelung eigener Wunden und vieles mehr kann Eltern dazu veranlassen, sich außer Stande zu sehen, die eigenen Kinder selbst intensiv zu begleiten. Genau hier kann sehr viel Heilung geschehen, wenn sich auf den Weg gemacht wird, mit Unterstützung, die eigenen Wunden zu erkennen und zu transformieren. Doch es Bedarf natürlich der Bereitschaft und Eigeninitiative zur Reflexion sowie dem Einsatz von Zeit und gegebenenfalls Geld, um sich auf persönliche oder familiäre Beratung beziehungsweise Begleitung einzulassen und diese proaktiv zu suchen. Mehr zu diesen Themen erfährst Du in dem Beitrag „Bewusstseinsarbeit“ (folgt).

Frühförderung vs. natürliches Lernen

Auch kann die weitverbreitete Auffassung, Kleinkinder bräuchten ein pädagogisches Angebot und Frühförderung, welche die Eltern nicht zu leisten imstande sind, dazu führen, sich die Selbstbegleitung der Kinder nicht zuzutrauen. Ein Blick auf die Bindungsforschung zeigt jedoch, dass Kinder unter drei Jahren insbesondere auf die altersgemäße Begleitung und Regulation ihrer Emotionen angewiesen sind und Liebe und Zuwendung durch keine pädagogischen Angebote ersetzt werden können. Auch sind Kinder proaktive Lerner, was bedeutet, dass sie im Spiel lernen und sich selbst Materialen und Beschäftigungen aussuchen, mit denen sie spielen und damit auch ganz von selbst lernen und sich entwickeln. Vorausgesetzt, sie finden auch altersgerechte Umgebungen und Materialien vor. Mehr zu diesen Themen erfährst Du in dem Beitrag „Kinder begleiten“ (folgt). 

Schlechte Betreuungsqualität für Kinder U3 in Kitas

Und schließlich stellt natürlich die Qualität der Fremdbetreuung ein großes gesamtgesellschaftliches Problem dar, die mit Betreuungsschlüsseln von eins zu acht oder eins zu zehn und Personalnotstand, den Bedürfnissen von kleinen Kindern nicht im Ansatz gerecht werden kann. Eine traurige Recherche wurde aktuell vom Team Wallraff von RTL+ durchgeführt und auf Youtube am 01.10.2023 veröffentlicht.⁴ Und auch verschiedene Studien, wie die NUBBEK-Studie von 2013 belegen eine unzureichende Qualität deutscher Kitas besonders im Krippenalter.⁵

Welche Personalschlüssel für Kinder unter drei Jahren geeignet erscheinen, wird nur selten ausgesprochen, doch können sich wohl alle Eltern vorstellen, wie herausfordernd eine alleinige Begleitung von zwei sehr aufgeweckten und nach Autonomie strebenden Zweijährigen im Rahmen einer bindungs- und bedürfnisorientierten Begleitung aussehen würde. Bereits hier wird es schwierig in allen Situationen adäquat auf die unterschiedlichen Bedürfnisse beider Kinder einzugehen. Das wäre bei einem Personalschlüssel von eins zu zwei. Das dieser oder ähnliche Personalschlüssel mehr als unrealistisch für die breite Masse umzusetzen sind, versteht sich von selbst. 

Entscheidung zur Selbstbetreuung

Also beginnt die Suche nach Alternativen und diese können örtlich ganz unterschiedlich ausfallen. Tagesmütter können eine Alternative darstellen, wenn sie wenige Kinder betreuen und bindungs- und bedürfnisorientiert begleiten. Jedoch kann es sehr schwierig bis unmöglich sein, eine entsprechende Tagesmutter zu finden oder einen Platz zu bekommen. Unter bindungstheoretischer Perspektive stellt sich allerdings die Frage, ob Kinder überhaupt unter drei Jahren über längere Zeiträume abgegeben werden sollten und ob uns nicht eine bindungs- und bedürfnisorientierte Haltung dazu verhilft, den Weg mit unseren Kindern in den ersten Lebensjahren kitafrei, ohne Fremdbetreuung im klassischen Sinne, zu gehen.

Freiräume generieren

Denn es gibt auch andere Möglichkeiten, sich Freiräume zu verschaffen, wie das Mütter-/Väterteam, die gemeinsame Kinderbetreuung mit mehreren Eltern, Arbeiten oder Ruhepausen mit Kind, aber auch eins zu eins Betreuungsmöglichkeiten, bei denen die Eltern in der Nähe sind und die Eingewöhnung und Intensität selbst gestalten. Wie zum Beispiel wohl ausgesuchte Babysitter:innen, Aupairs, Familienangehörige oder auch Wunschgroßeltern. Mehr zu den Möglichkeiten sich Freiräume zu kreieren erfährst Du in den Beiträgen „Freiräume kreieren“ (folgt) und „sich ein Dorf aufbauen & vernetzen“ (folgt).

Fehlende Gemeinschaft und Vernetzungsmöglichkeiten

Weiterhin kann es eine große Herausforderung darstellen, im eigenen Umfeld die einzigen Eltern zu sein, die gegen den Strom schwimmen. Je nach örtlichen Gegebenheiten können Familien Einsamkeit und Ausgrenzung empfinden, wenn die eigene Familie als einzige tagsüber den Spielplatz nutzt und keine Kontaktmöglichkeiten mit anderen Kindern und Familien findet. In größeren Städten findet sich dieses Problem weniger und ist auf dem Lande um so mehr verbreitet. Zudem kann es auch in Städten an Begegnungsräumen fehlen, in denen sich kitafreie Familien treffen können. So kann auch Eigeninitiative zum Auffinden von Gleichgesinnten gefordert sein, wenn es vor Ort noch keine etablierten Strukturen, wie digitale Gruppen oder regelmäßige Treffen gibt. In dem Beitrag „sich ein Dorf aufbauen & vernetzen“ (folgt) findest Du mehr zu diesem Thema.

Gegenwind von nahestehenden und liebsten Menschen

Und schlussendlich stellt wohl die größte Herausforderung oder Problematik für die Umsetzung der Selbstbetreuung der Kinder Gegenwind von der eigenen Familie oder dem eigenen Partner dar. So prallen nicht selten im Kontakt mit den eigenen Eltern Welten aufeinander, wenn die liebevolle und präsente Begleitung der Kinder vor den Wert der Arbeit gestellt wird und veraltete Erziehungsmethoden nicht mehr angewendet werden. Manche Großeltern halten die Gefühle von Kleinkindern auch schlichtweg nicht aus, wenn diesen Raum gegeben wird, der einem selbst nie zugestanden wurde oder Schlimmeres.

Und sicher kann die Uneinigkeit der Eltern über einen kitafreien Weg zu großen Konflikten führen. Jedoch wurde hier bereits angeschnitten, dass es mittlerweile vielfältiges Wissen über die Bedürfnisse von Kleinkindern, über Bindung und die Folgen der frühen Fremdbetreuung gibt, welches eine gute Hilfe sein kann, sich bei dieser Thematik herz- und vernunftorientiert zu begegnen. Neue gemeinsame Werte können entwickelt und zur starken Kraft für den gemeinsamen Weg werden. Aber auch Trennungen sind natürlich eine mögliche Folge von entsprechenden Konflikten, wie sie insgesamt auch bei Eltern mit Kindern in Fremdbetreuung in dieser Zeit häufig vorkommen. Mehr zum Thema „Partnerschaft“ (folgt) findest Du in dem entsprechenden Beitrag und in der 1. Folge des Liebe Trägt Podcast „Finde Dein Warum?!„.

Die hier skizzierten Herausforderungen und Problemlagen veranschaulichen bereits, dass der gemeinsame Weg mit den Kindern ohne Fremdbetreuung viel Sprengkraft und Konfliktpotential mit der Außenwelt und ebenso mit der eigenen Innenwelt bergen kann. Schließlich stellt dieser Weg auch ganze Weltbilder auf den Kopf und berührt jeden Menschen anders. 

Liebe und Chancen überwiegen

Und doch vermag die Freude am Sein unserer Kinder, an ihrer Entwicklung, an der eigenen Entwicklung, an der wachsenden Herzensverbindung zu ihnen und der Liebe zwischen ihnen und uns Eltern einfach alle inneren und äußeren Widerstände und Konflikte zu überwiegen. Freude und Liebe sind die treibenden Kräfte, die uns in unsere eigenen Schatten und Wunden hinein gehen lassen, um sie zu heilen und nicht an unsere Kinder weiterzugeben.

Liebe ist die stärkste Kraft im Universum. Sie vermag es, Möglichkeiten zu finden und machbare Rahmenbedingungen zu kreieren. Unser Verstand hilft uns dabei! So entstehen Mut, Vertrauen und ein Blick für die Machbarkeit der gemeinsamen Reise, die Kinder wieder selbst zu begleiten und dabei Erfüllung, Freude und Sinn zu erfahren. 

Wir wachsen mit unseren Kindern

Keine, der mir bekannten, Familien bereut es diesen Weg zu gehen. Im Gegenteil! Die Liebe zu den Kindern wächst und wächst. Täglich zu sehen und zu begleiten wie sie voller Freude die Welt entdecken, sich entwickeln und uns ihr Vertrauen und ihre Liebe schenken, berührt und verändert auch uns Eltern. Wir wachsen mit unseren Kindern. 

Liebe Trägt begleitet Eltern

Um Eltern auf ihrem kitafreien Weg ohne frühe Fremdbetreuung zu unterstützen stellt Liebe Trägt Wissen, Strategien und Tools bereit und unterstützt Eltern dabei, eigene Ressourcen zu erkennen und zu nutzen sowie ihren eigenen Fähigkeiten zu vertrauen und diese auszubauen. Dabei werden auch Glaubenssätze und Prägungen identifiziert sowie emotionale Reaktionen als Hinweise eigener Wunden verstanden und ins Bewusstsein geführt, um diese zu sehen, anzunehmen und heilen zu können. 

Liebe Trägt hat das Ziel, Eltern nicht nur dabei zu helfen alles irgendwie zu schaffen sondern die wichtigsten Lebensbereiche als Familie erfolgreich, energiereich und mit Freude selbst zu gestalten.

Weiterführende Informationen zur Problemlage von früher Fremdbetreuung, Quellen und Links findest Du in der ersten Podcastfolge „Finde Dein Warum?!“ und unter „Quellen„.

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Verwendete Quellen:

¹ Vgl. Götze, H. K. (2019). Die Sehnsucht kleiner Kinder. Liebe und Geborgenheit in der Erziehung – Eine Ermutigung für Eltern. Graz: Ares Verlag. S. 90 ff. und 96 f.

² Vgl. Rass, E. (2017). Bindung und Sicherheit im Lebenslauf. Psychodynamische Entwicklungspsychologie. Stuttgart: Klett-Cotta. S. 28.

³ Vgl. Götze 2019, S. 104 

⁴ Achtung: traurig und aufreibend! Team Wallraff von RTL+ auf Youtube 01.10.2023: https://youtu.be/vpMhHWUqJKc?si=ONswmOn9h-6iZpVa (abgerufen am 04.10.2023).

⁵Tietze, W., Becker-Stoll, F., Bensel, J. Eckhardt, A., Haug-Schnabel, G., Kalicki, B., Keller, H., Leyendecker, B. (Hg.) (2013). Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit. Verlag: Das Netz: Weimar, Berlin.